Auch der erste Weltkrieg lässt sich historisch korrekt sicher nicht als "aufgezwungenen Krieg" bezeichnen, aber die Propaganda wirkt bis heute nach und ich bin mir nicht sicher, ob man dem auch 100 Jahre nach Ende des ersten Weltkriegs noch Vorschub leisten sollte. Zumal es noch nie so einfach war, an Informationen zu kommen.Wiederholte Besprechungen, die ich gestern mit dem Botschafter von Frankreich, dem Gesandten von Holland und Griechenland, dem Geschäftsträger Englands gehabt habe, haben mich zu der Annahme geführt, dass das Ultimatum an Serbien ein zwischen Wien und Berlin vereinbarter Streich ist, oder vielmehr, dass er hier ausgedacht und in Wien ausgeführt ist. Rache wegen der Ermordung des Thronfolgers und wegen der panserbischen Propaganda zu nehmen, das ist nur Vorwand. Der Zweck, der verfolgt wird, ist ausser der Vernichtung Serbiens und der panslawischen Bestrebungen, einen tödlichen Stoss gegen Russland und Frankreich zu richten, in der Hoffnung, dass England im Kampf beiseite stehen würde. Um diese Vermutungen zu rechtfertigen, muss ich Sie an die Meinung erinnern, die im deutschen Generalstab herrscht, dass ein Krieg mit Frankreich und Russland unvermeidlich und nahe sei, eine Meinung, für die es gelungen ist, den Kaiser zu gewinnen. Dieser Krieg, glühend ersehnt durch die Militärpartei und die Alldeutschen, könnte heute unternommen werden, so urteilt diese Partei, unter besonders günstigen Umständen für Deutschland, die sich so bald nicht wiederholen würden: Deutschland hat seine militärischen Verstärkungen, die durch das Gesetz von 1912 vorgesehen waren, beendigt und andererseits fühlt es, dass es nicht unbegrenzt einen Rüstungswettlauf mit Frankreich und Russland fortsetzen könnte, die zum Ruin führen muss ... Russland hat, bevor es seine militärische Reorganisation vollendet hat, törichterweise mit seiner Macht geprahlt. Diese Macht wird erst in einigen Jahren fruchtbar sein; es fehlt Russland gegenwärtig, um sich zu entfalten, an den notwendigen Eisenbahnlinien. Was Frankreich anbetrifft, so hat Charles Humbert die Unzulänglichkeit seiner schwerkalibrigen Kanonen enthüllt; aber gerade diese Waffe wird, wie es scheint, das Schicksal der Schlachten entscheiden. England endlich, das, seit zwei Jahren, die deutsche Regierung nicht ohne einigen Erfolg von Frankreich und Russland zu lösen sucht, ist durch seine inneren Kämpfe und den irländischen Streit ausgeschaltet." (Beyens skizziert im Vorstehenden die Erwägungen der deutschen Kriegspartei.)
Aus den Berichten vom 28. Juli: "Der Eindruck, dass Russland unfähig wäre, einem europäischen Kriege die Spitze zu bieten, herrscht nicht allein im Schoss der kaiserlichen Regierung, sondern auch bei den deutschen Industriellen, die militärische Lieferungen herstellen. Der Berufenste unter ihnen, Herr Krupp von Bohlen, hat einem meiner Kollegen versichert, dass die russische Artillerie weit entfernt davon sei, gut und ausreichend zu sein, während die Artillerie der deutschen Armee niemals von einer so hervorragenden Qualität gewesen sei. Es wäre eine Torheit von Russland, fügte er hinzu, unter solchen Bedingungen Deutschland den Krieg zu erklären."
Nun zu Deinem "eigentlichen Thema":
Ist die Kernaussage wirklich, dass die deutsche Geschichte vor den Nazis mit Ausnahme von Bismarck und der gesamten Weimarer Zeit nichts vorbildliches oder ruhmreiches gewesen sei? Puh, harter Tobak am frühen Morgen, nicht nur deswegen, weil Bismarck neben seinen unzweifelhaft großen Verdiensten ein Kriegstreiber und Despot war und die Weimarer Verfassung von der Mehrheit vieler Deutscher abgelehnt wurde: Die deutsche Geschichte sollte man trotz der Barbarei der Nazis sicher nicht auf diese 12 Jahre reduzieren. Und man sollte auch nicht der Nazipropaganda aufsitzen, die Hitler in direkte Nachfolge vom alten Fritz, Bismarck und Hindenburg stellte. Und wir sollten das Deutschsein und die Deutung darüber nicht denjenigen überlassen, die wie Gauland nur damit hantieren, um am rechten Rand nach Stimmen zu fischen.herthamichi hat geschrieben: ↑24.10.2018, 01:41Und dann kommen wir mal zu der eigentlichen Ausgangsfrage dieser Debatte zurück, die Du scheinbar nicht mehr
auf dem Schirm hast, Opa?. Es ging um die Gauland - Aussage, die Nazizeit sei ein Vogelschiss der deutschen
Geschichte gewesen.
Bei solchen Aussagen entsteht bei mir die Frage, ob denn die deutsche Geschichte vor den Nazis irgendwas
vorbildhaftes oder ruhmreiches gewesen ist?. Die Frage muss ich angesichts des Wirkens von Wilhelm II -
vielleicht im Gegensatz zu Bismarck - und der gesamten Weimarer Zeit schlichtweg verneinen.
Zur deutschen Geschichte gehören Größen wie Luther, Bach, Kant, Goethe, Einstein, Bohr oder Virchow. Zur deutschen Geschichte gehört auch ein oftmals anstrengender, aber in der Summe positiv wirkender Föderalismus (auch als Vorbild für ein in Frieden und Freiheit vereintes Europa). Zur deutschen Geschichte gehören Kultur, Wissenschaft, Forschung, Erfindungen und Unternehmergeist, Diplomatie, Scheitern und Wiederauferstehen. Und eben auch die 12 dunklen Jahre. Aber auf diese 12 Jahre und das unmittelbare drumherum darf sie niemals reduziert werden. Machen wir was draus. Aber eben mit historisch korrekten Fakten. Uns hat man die beiden Weltkriege nicht aufgezwungen, wir wollten sie.