Jenner hat geschrieben: ↑01.11.2018, 15:30
Das halte ich für enen Wahrnehmungsfehler. Bereits in der Zone wurde ganz offen über dunkelhäutige Vertragsarbeiter aus Kuba, Mosambik und Angola gehetzt. Übrigens mit ähnlichem Tenor wie jetzt (die bekommen ihr Geld fürs Nichtstun und baggern unsere Frauen an). Seit Jahrzehnten berichtet der Zentralrat der Juden über Hassbriefe und Morddrohungen, die nicht nur anonym versendet wurden. Stoiber beklagte sich schon vor mehr als 20 Jahren über die Durchrassung der Gesellschaft, Rüttgers bestritt den Wahlkampf 2000 mit dem Slogan "Kinder statt Inder" etc.
Solche Äußerungen gab es also schon immer, dank Internet ist der Verbreitungsraum des Stammtischs lediglich deutlich größer geworden. Es trauen sich nicht mehr Menschen, ganz öffentlich rassistische etc. Dinge laut zu sagen, es können nur Menschen hören und lesen.
Ich würde da sogar noch einen Schritt weitergehen. Neben den schon immer vorhandenen rassistischen Aussagen und Denkweisen von Teilen der Bevölkerung, die jetzt erheblich sichtbarer, aber nicht unbedingt mehr sind, gibt es inzwischen eben wirklich die Tendenz, allen möglichen Aussagen eine Diskriminierungsabsicht zu unterstellen - mal berechtigt, mal nicht.
Wenn es im Jahr 2018 allerdings beispielsweise wirklich schon als rechtsextrem verschrien wird, auf die absurde Idee zu kommen die Außengrenzen eines Landes oder Staatenbundes zu respektieren oder schützen, und selbst stinknormale AFD Reden (nehmen wir jetzt hier mal nicht den Anteil an Verwirrten und wirklich Rechtsextremen in ihren Reihen) im Bundestag permanent mit Rechtsextremismusdistanzierungen bedacht werden und Lindnersche Appelle an alle Demokraten zur Folge haben, kann der allgemeine Konsens doch nicht wirklich nach Rechts gerutscht sein. Im Jahr 2002 standen in Frankreich Chirac und LePen zur Auswahl - was genau ist da seither so unfassbar stark nach Rechts gerückt?
Was natürlich stimmt ist, dass es in einigen Ländern zuletzt fragwürdige Positionen in Regierungsbeteiligungen geschafft haben - aber vermutlich nicht, weil die Mehrheit auf einmal rechter denkt, sondern weil viele Positionen, die mal schlichtweg als bürgerlich oder konservativ galten, jetzt eben den Stempel "Rechts" tragen. Wenn diese Positionen nur noch von Parteien bedient werden, die teilweise Rechtsradikalismus mit in Kauf nehmen, ist das kein allgemeiner Rechtsruck der Gesellschaft, sondern im Grunde genommen das Gegenteil davon. Leider eben zu dem Preis, dass du irgendwann wirklich radikale Positionen als Package Deal dazubekommst.
In der heutigen Wahrnehmung ist einer Ikone der Linkspartei Rechtspopulismus vorgeworfen worden - Strauß wäre heutzutage als Rechtsradikaler verschrien, Schmidt vermutlich als Rassist verunglimpft.
Das alles soll übrigens noch nicht mal heißen, dass es nicht ganz okay sein kann, wenn sich bestimmte Formen des gesellschaftlichen Konsens ändern - aber ein Rechtsruck ist für mich da nicht zu erkennen.