Opa hat geschrieben: ↑19.09.2018, 08:03
Das ist aber ganz schöne Wortklauberei. Bismarck war klar, dass es ohne Föderalismus keinen deutschen Nationalstaat geben wird. Dass dieser wirtschaftlich wie militärisch von Preußen dominiert wurde, war eh alternativlos und ohne seine Dickköpfigkeit hätte sich der preußische König nicht zum Deutschen Kaiser krönen lassen, denn der wollte ja "nur" Kaiser von Deutschland werden, nicht Deutscher Kaiser. Insofern ist die Entstehung des Nationalstaats sehr wohl das Verdienst des Nationalisten Bismarck.
Nein, das ist keine Wortklauberei. Vielleicht siehst du auch die Geschichte zu sehr von ihrem Ende, ihrem Ergebnis her.
Bismarck war seit seiner Jugend ein erbitterter Gegner von Freiheitsbewegungen und nationalistischen Strömungen, wie sie auch in der 48er Revolution zum Ausbruch kamen. Und zwar gebündelt. Verpflichtet gefühlt hat er sich stets prioritär dem Hause Hohenzollern, dem preußischen Adel und dessen feudalen politischen Bestrebungen. Aber er hat im Laufe der Jahrzehnte seine Strategie verändert.
Ich hole mal zwecks Verständlichkeit etwas aus: Preußen als aufstrebender Emporkömmling, der seit Friedrich plötzlich und auch riskant im Konzert der Großmächte mitspielte (und das mehrfach bis an die Grenze des rien ne vas plus), war ein stets gefährdeter, sozusagen "abstrakter" Staat, dessen Staatsidee und Zweck er selbst war, dessen Bevölkerung heterogen war und dessen Staatsgrenzen oft variierten, sich verschoben, im 19. Jahrhundert z.B. auch unzusammenhängend von Königsberg bis an den Rhein gingen.
Bismarck hat als Gesandter und Minister stets ein Ziel im Auge gehabt: Den noch überlegenen deutschen Konkurrenten Habsburg in Schach zu halten und das Machtgefüge geschickt Richtung Preußen zu verlagern.
Bis zur Revolution 48 haben Preußen und Österreich mittels des Deutschen Bundes gemeinsam gegen die Nationalbewegung gekämpft, denn deren Ziel war ja damals noch ein großdeutsches Reich, also unter Einschluß Österreichs. Danach zerfiel dieses Bündnis mehr und mehr, die Rivalität der beiden Dynastien wurde unverblümter ausgetragen. Und erst um ca. 1860 begann Bismarck seine Taktik zu ändern - er ging ein Zweckbündnis mit dem Nationalliberalen Bürgertum ein, das inzwischen auch auf die kleindeutsche Lösung umgeschwenkt war, da das Habsburger Reich nicht zerfiel, im Gegenteil. Bis dahin sprach Bismarck noch vom "deutschnationalen Schwindel". Aber die Einigungsbestrebungen ließen sich seit 48 nicht mehr kleinhalten. Preußen setzte im Kampf gegen Österreich nun auf eine (klein-)nationale Einigung, weniger aus tiefer Überzeugung denn aus der Einsicht, nur so den Gegner Österreich aus den deutschen Belangen herauszudrängen und so selbst zur innerdeutschen Großmacht zu werden. Dies ging nur mit den Nationalliberalen.
Jetzt sagte Bismarck plötzlich: "
Der alleinige, zuverlässige, ausdauernde Alliierte, welchen Preußen haben kann, ist das deutsche Volk." Also ging er auf die Wünsche der Nationalliberalen zumindest hinsichtlich kleindeutscher Lösung zu, um im Gegenzug Preußens Vormacht in einem möglichen Reich zu zementieren, Preußen möglicherweise auch zu vergrößern, die norddeutschen Staaten kontrollieren zu können. Und so setzte er dieses Vorhaben klug Schritt für Schritt um - Krieg gegen Dänemark mit Österreich, dann Krieg gegen Österreich, Norddeutscher Bund, Mobilisierung auch der süddeutschen Staaten mit großen Zugeständnissen zur Reichsidee, Krieg gegen Frankreich. Das Deutsche Reich dann hate in der Tat einen äußerst föderalen Charakter (Bayern hatte ein eigenes Steuersystem, ein eigenes Heer und sogar eigene Gesandte).
Im Nachhinein hat Bismarck dann seine eigene Legende geschrieben, so als ob er immer schon die sogenannte "deutsche Sendung Preußens" im Blick gehabt hätte, im Einklang mit den deutschnationalen Historikern der Zeit. Aber das hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Das alles widersprichtnicht deiner Feststellung, daß Bismarck der entscheidende Motor im Reichsgründungsprozeß war. Aber zum "Nationalisten" hat er sich, wenn auch nur sehr zaghaft, erst nach seinen strategischen Erfolgen im Rückblick gekürt. Aus meiner Sicht aber eher unglaubwürdig.
Ein Leben ohne Pal ist möglich, aber sinnlos.