Drachin: das war ein überwiegend sehr guter Beitrag.
Wir hier im Forum diskutieren über zehntausende von Seiten fußballerische Fähigkeiten, aber die charakterlichen kommen viel zu kurz.
Das ist fahrlässig.
Wir kennen die Spieler sehr wohl in ihren spielerischen Fähigkeiten. Das sehen wir, das können wir beurteilen.
Aber den Charakter kennen nur Mitmenschen.
Und weil das eben für die meisten User nicht sichtbar ist, wird das nicht diskutiert, sondern borniert Diskussionen über das geführt, was man auf dem Platz sehen kann. Und wenn die Drachin mal ein wenig ins Unsichtbare abdriftet, wird sie von rotergrobi angeraunzt.
Ich ziehe das mal anders auf: Der "Inner Circle" hier im Forum kennt sich ja seit sehr langer Zeit und wir wissen vom Umgang miteinander sehr gut, wie die Wesenszüge des jeweils anderen sind. Das wissen wir bei den Spielern ja gar nicht !!
Zum Beispiel haben wir hier eine geschätzte Fraktion von Usern wie Jenner, Opa, Steve. Das sind User, die sich sehr an Fakten orientieren, Diskussionen sehr sehr faktenuntermauert führen. Das sind Verstandsmenschen. Durch und durch vom Verstand beherrscht. Das kann manchmal etwas ins Bornierte ausarten und nicht ohne Grund giften diese drei User sich kaum untereinander an. Weil jeder weiss, vom anderen ist faktenuntermauertes Kontra zu erwarten.
Ebenso kennt ein solcher Typ sehr wohl seine Grenzen. Steve diskutiert nahezu Null in Politik, aus vielen Small-Talk-Diskussionen wird sich herausgehalten, wenn man keine Ahnung hat. Man kennt die eigenen Grenzen und möchte vor allem eins vermeiden: Blöße. Möglicherweise ist genau das der Antrieb für Wissensdurst, Fakten aufsaugen etc. - vor anderen nicht dumm dazustehen.
Solche Menschen haut annähernd nichts um. In Krisen stehen sie wie ein Fels in der Brandung.
In einer Gruppe sind solche Menschen unersetzbar, aber es sollte in einer Gruppe auch nicht zu viele von diesen Typen geben.
Von Spielern dieses Typus' kann man Krisenfestigkeit, Standhaftigkeit, Stabilität, Ehrgeiz etc. immer erwarten, aber solch ein Typus wird keine kreativen Risikopässe spielen - man könnte sich ja die Blöße geben einen Konter verursacht zu haben.
Andererseits gibt es Luftikusse, Bauchmenschen, Kreative, Visionäre, Ausprobierer - das ist dann Gattung Ray bzw. jene Handvoll User, die sich auch sehnlichst, sehnlichst ansehnlicheren Hertha-Fußball gewünscht haben.
Ich klatsche desöfteren verrückte Gedankengänge ins Forum, Motto: mal sehen was passiert. Solche Spielertypen braucht es auch in der Mannschaft, die ab und an mal risikoreich einen Lupfer über 36 Meter versuchen.
Solche Menschen sind viel weniger krisenfest. Die aktuelle Hertha-Krise zehrt an mir. Keine Ahnung, wie es wäre, wenn ich als Spieler beteiligt wäre. Und eigene Fehler ... möglicherweise würde ich auch wie Jordi Alba in der Kabine bei eigenen glasklaren Fehlern weinen.
Das sind jetzt einmal ZWEI Grundtypen dargestellt. Es gibt natürlich viel viel mehr, Typen z.B. "aufrechtes Rückrad, unverwüstbar, aber zarte Seele", dazu komme ich später.
Sehr interessant sind drei Dinge:
(1) Die Diskussion zwischen Steve und mir bezüglich meiner steilen These "Ohne Lukebakio hätten wir 5 Punkte auf dem Konto". Das ist KONJUNKTIV! Was im Konjunktiv wäre kann man eh schlecht bis gar nicht beweisen. Ich (meine unschöne Seite) klatsche solch eine Behauptung einfach aus dem Gefühl heraus raus. Rationale Begründung: null, habe ehrlich gesagt auch gar nicht auf dem Schirm gehabt, ob und wie lange Luke bei unseren Siegen auf dem Platz war. Es war einfach ein Impuls, dass ohne ihn die Offensive noch toter wäre als eh schon. Steve entgegnet sofort. Mit Fakten. Fakten, die meine These im wesentlichen zersmashen, ABER: es ist Konjunktiv. Für Konjunktiv gibt es keine Fakten, denn möglicherweise hat auch Lukebakios Anwesenheit auf der Bank, als wir die drei Siege einfuhren (durch Motivation der Konkurrenten...) den Ausgang dieser Spiele beeinflusst. Kurzum: ich nehme es etwas locker mit den Fakten, Steve etwas streng.
(2) Sonderfall Atze: Die drei erwähnten "felsenfesten" User sind unerhört fachkundig. Da ergibt Wesen mit Bildungsstand, Auftreten etc. zusammen ein abgerundetes, stimmiges Ganzes.
Atze ist vom Naturell her genau so ein, nennen wir es leicht rechthaberischer Faktensucher, allerdings eben mit offenkundigen Fehlerchen im "Wie". Das ändert aber sein Grundwesen nicht. Sein Grundwesen ist "Faktenmensch" und nicht wie Ray "Impulsmensch".
Atze reagiert, wenn er von Opa zusammengefaltet wird, gänzlich anders als ich. Atze sucht verzweifelt verstandsgesteuert irgendwelche Fakten, es ergibt sich ein lustiges bis anstrengendes Wechselspielchen mit fast jedem Satzgewinn für Opa. Ich bin da eher "ja, waren meine Impulse wohl falsch" bzw. "Mein Impuls zu Superlindi ist so felsenfest, den kann mir niemand abtrainieren, der fällt in 2 Jahren von ganz allein und abrupt"
(3) Nun stellt Euch mal vor, eine Viererabwehrkette wird von vier Charakteren a la Opa, Jenner, Steve gebildet. Das KANN nicht funktionieren.
Jeder respektiert ja irgendwie den anderen und seinen klaren Sachverstand. Es würde ein gewisses "Jeder verlässt sich auf den anderen" eintreten und - meine Fantasie stellt sich das gerade bildhaft vor - nach einem Gegentor würde jeder rein verstandsorientiert seine Sicht begründen: "Du bist Schuld, denn beim viertletzten Pass hättest Du ins Kopfballduell gehen können und dann wäre ich gar nicht in diese brenzlige Situation gekommen, Du weisst, ich gegen diesen technisch starken Gegenspieler im Ens-Gegen-Eins" und so weiter.
Ähnlich bunt und lustig gemischt sind auch Fußballteams von den Charakteren her und - das kommt erschwerend hinzu - die Spieler sind eher jung, also eher Entwicklungslevel Atze als Entwicklungslevel Jenner.
Lasst doch bitte einfach mal die These zu, dass es formbare Charakteranteile gibt, aber auch unverrückbare. Jenner wird niemals sein Naturell als rationaler Faktenliebhaber verändern und impulsgesteuerter, sich verschuldend in den Tag hinein lebender Lebemensch werden. Und bei mir wird der Verstand nie dauerhaft Gefühl und Impulse im Griff haben. Insbesondere damals nicht in jenem Alter, in dem unsere Spieler jetzt sind.
Es wird also auch in der Hertha Spielerkabine rationale, keinem Streit ausweichende, krisenfeste Spielertypen geben und ebenso impulsgesteuerte, auf den Bauch hörende, in Krisen in sich zusammenbrechende Charaktere.
Ich weiss, an der folgenden Stelle werden viele aussteigen, mich für blöd verkaufen und nicht weiter lesen. Aber: ich sehe Astrologie als ErklärungsANSATZ.
Das sollte man nicht missverstehen: Tageshoroskope sind bullshit, nicht jeder Skorpion ist wie der andere, es gibt noch tausende andere Faktoren (Sozialisation etc.) die einen Charakter prägen. Astrologie geht sehr in die Tiefe, ob da nun wirklich Planeten und ihre Strahlung eine Rolle spielen oder eher der Fakt, zu welcher Jahreszeit man im Mutterleib welche Embryonalphase durchlebt ... keine Ahnung. Die Erklärungsansätze der Astrologie werden weder zu 100% richtig sein noch zu 100% falsch. Unser rationales Denken findet nur in drei Dimensionen statt. Wir stoßen schnell an die Grenzen unser Vorstellungskraft und Erklärbarkeit, spätestens bei der Frage "Wie unendlich groß ist das Universum".
Angenommen - nur mal angenommen! - da ist irgendetwas dran. Hertha hat große Probleme im Moment, wir rätseln woran es liegt und stellen fest, dass es individuelle Klasse nicht ist. Gestern wurde ich auch belehrt dass es keine Grundfitness sein kann. Ist es vielleicht das Miteinander?
Der HSV hatte in Krisenzeiten quasi Torwart plus Viererkette alles Steinböcke. Das kann, trotz individueller Klasse aller, gar nicht als Kollektiv gehen. Die Mischung macht es!
Schalke hatte letzte Saison einen höheen Spielermarktwert als diese - hat Embolo und Rudy, beide mit unstrittiger Klasse - abgegeben, und diese Saison funzt es.
Man schaue sich Spitzenmannschaften an, die Bayern in ihrer Guardiola-Zeit, eine perfekte Mischung aller möglichen Charaktere!
Ebenso ManCity, wenn sie fit sind. Und ebenso wenig ManCity, wenn zwei gewisse Schlüsselspieler ausfallen.
Klopps Krisenjahre - wer fehlte da?
Und nun schauen wir mal auf unseren Hertha-Kader und stellen absurdeste Dinge fest: es wimmelt voller Feuer- und Luftzeichen (vor allem Feuer) und es mangelt an Wasser- und es mangelt massivst (!!) an Erdzeichen. Verstandsorientierte, krisenfeste Erde: EINEN Steinbock (Arne Maier) im Kader, Stier und Jungfrau nur die Ferner-Liefen-Spieler Dardai jr. und Köpke.
Alle vier (!!) Innenverteidiger sind Feuerzeichen. Das ist vollkommen grotesk.
Unsere Aufstellung ist derart feuer- und luftlastig, dass die etwas variableren, aber eher kreativen Luftikusse schon die Drecksarbeit für die Feuer-Alphatiere machen müssen.
Und: Lustenberger ist Stier. War Kapitän und Führungsspieler und keiner von uns hat verstanden, warum. Und noch weniger, warum er jetzt fehlen sollte. Tja: wir kennen die Abläufe in der Kabine nicht. Lustenberger ist Bindeglied zwischen kreativen, instabilen und eher rechthaberischen Stabilen, weil er eben zu beiden Seiten Zugang hat. Lustenberger wäre einer gewesen, der Jordi Alba einfach in den Arm nimmt, wenn er in der Kabine weint und nicht noch belehrt, andererseits akzeptiert er aber auch einen Kommandogeber neben sich.
Bei Lustenberger haben wir hier alle geflucht und geschimpft "nur 1:1 in Augsburg, weil dieser Trottel den Fehler beim Gegentor...". Mittlerweile, ohne Lustenberger, verlieren wir 0:4 in Augsburg und Stark, Rekik (jaaaa, er hat in Augsburg nicht gespielt) und Boyata übertrumpfen sich an individuellen Fehlern.
Unsere aktuelle Mannschaft: Das kann einfach von der Mischung her nicht gut gehen.
Soweit, dass man damit dem Abstieg geweiht ist, gehe ich nicht.
Aber WENN man im Winter nachjustieren sollte dann bitte, so blöd es klingt, mal wirklich Astrologie als Orientierungshilfe (nicht mehr, nicht weniger) nehmen und nicht noch den fünfzehnten Feuerzeichen-Spieler holen, der ja individuell gesehen ein toller Führungsspieler in einer anderen Mannschaft ist, aber ...