Die Analyse ist vollkommen oberflächlich und ein Schandfleck des Sportjournalismus'.
Vorwurf 1: „Die Geschäftsleitung muss sofort komplett ausgetauscht werden“
Klinsmann schrieb: „Der Klub hat keine Leistungskultur, nur Besitzstandsdenken, und es fehlt jegliches Charisma in der Geschäftsleitung. In der heutigen Glaubwürdigkeits-Welt des Fußballs überträgt sich das direkt auf die Mannschaft.“ Und: „Es gibt keine Vision, wo und vor allem wie der Klub Richtung Europa aufgestellt werden soll.“
Die Fakten: Präsident Werner Gegenbauer installierte mit Carsten Schmidt einen neuen Leiter der Geschäftsführung als Big Boss. Der Ex-Chef von Sky hat am 1. Dezember seine Arbeit aufgenommen. Zu seinen Stärken zählen Kommunikation und Innovationsdenken. Im Sommer kamen vor allem Talente und Spieler von schlechteren Bundesliga-Mannschaften. Finanzielle Mittel wurden als Rücklagen genutzt und nicht in teure Spieler investiert. Trainer Labbadia bemängelte: „Wir haben nicht die großen Namen und keine fertigen Spieler geholt.“ Und: „Wir hatten uns einiges anders vorgestellt.“
Fazit: Gegenbauer hat erkannt, dass die Geschäftsführung neu strukturiert werden muss. Damit folgt er zumindest in Teilen Klinsmanns Gedanken – auch wenn Preetz bei ihm unumstritten bleibt. Aber: Sportlich stockt die Entwicklung des Kaders, eine klare Linie war im Sommer nicht zu erkennen – allerdings auch, weil Investor Windhorst mit seinen Zahlungen in Verzug lag und Corona die Planungen schwieriger macht.
1. Der Vorstand wurde eben nicht ausgetauscht, sondern ergänzt. Ob Schmidt tatsächlich personelle Konsequenzen einfordert und den Beirat zur Abberufung von Schiller und Preetz drängt, steht völlig in den Sternen.
2. Es wird in keiner Weise hinterfragt, weswegen Rückstellungen gebildet werden. Das kann ja nur bedeuten, dass Schiller und Preetz wie selbstverständlich davon ausgehen, dass hier auch nach der Pandemie regelmäßig Verluste eingefahren werden.
3. Die SPORTBILD erkennt die Ursachen der katastrophalen letzten Transferperiode nicht. Preetz wollte Geld in die Hand nehmen, insbesondere für Reine-Adelaide. Aber weder er noch andere Spieler mit seinem Niveau wollten dauerhaft zu Hertha. Zudem hat sich Preetz bei Götze verzockt. Nach einem Zufluss von 224.000.000 € seit 07/2019 ist es zudem albern, wenn man ernsthaft behauptet, Hertha hätte ohne die weiteren 150.000.000 € nicht hinreichend in Spieler investieren können.
Vorwurf 2: “Katastrophale Kaderplanung von Preetz“
Klinsmann schrieb: „Der Kader ist von der Altersstruktur her völlig falsch zusammengesetzt, zu viele ältere und satte Spieler, die keinerlei Power haben, um im Abstiegskampf zu bestehen (Kalou zu alt, Duda satt, Leckie satt und immer verletzt, Ibisevic zu alt, Jarstein fraglich).“
Die Fakten: Hertha schickte im Sommer 13 Spieler weg, darunter Routiniers wie Kalou, Ibisevic und Skjelbred. Dafür wurden junge Spieler geholt. Aber: Der kritisierte Kader sicherte souverän die Klasse, Ibisevic und Jarstein waren Erfolgsgaranten. Duda, der erst auf Klinsmanns Drängen verliehen und danach von Preetz verkauft wurde, zeigt gerade in Köln, dass er im Abstiegskampf helfen kann.
Fazit: Klinsmanns Analyse war im Grundsatz nicht falsch, der Umbruch aber ohnehin geplant. Dass der so radikal erfolgte, ist ein Grund, warum es aktuell sportlich nicht läuft.
1. Bis auf Ibisevic waren alle genannten Spieler keine Stütze im Abstiegskampf. Jarstein hatte etliche Fehler gemacht, Leckie wurde kaum eingesetzt, Kalou und Duda spielen keine Sekunde mehr.
2. Dieses Märchen vom radikalen Umbruch ist völlig absurd. Die einzigen Abgänge, welche auch auf dem Platz Leistung brachten, waren Ibisevic und Skjelbred. Bei unserem letzten Spiel in Freiburg stand mit Guendouzi ein einziger Feldspieler in der Startelf, der letzte Saison noch nicht unser Trikot trug. Die Gründe, weshalb es sportlich nicht läuft, liegen ganz woanders.
Vorwurf 3: „Der Kader ist viel zu groß – kein intensives Arbeiten möglich.“
Klinsmann schrieb: „Der Kader ist auch bei den Positionen völlig ungleich zusammengestellt. Vier Top-Innenverteidiger, von denen man nur zwei braucht – aber keinen rechten Außenverteidiger, keinen Spielgestalter.“
Die Fakten: Hertha verkleinerte den Kader im Sommer um sechs Spieler. Labbadia wünscht sich aber mehr Alternativen auf einigen Positionen. Von den vier Innenverteidigern wurde Rekik verkauft, Nachfolger Alderete und Talent Torunarigha waren häufiger verletzt. Stark spielt nun im defensiven Mittelfeld. Nur Boyata spielt konstant hinten. Zeefuik wurde als Rechtsverteidiger geholt. Einen klassischen Zehner gibt es im Kader weiter nicht.
Fazit: Nur der Vorwurf, Hertha habe einen Mangel an guten Rechtsverteidigern, stimmt. Allerdings erkannte Klinsmann die Qualität von Pekarik nicht. Die vier Innenverteidiger werden gebraucht. Spielmacher Duda schickte Klinsmann selbst weg. Allerdings leidet das Hertha-Spiel tatsächlich unter zu wenig kreativen Spielern, wenn Guendouzi und Cunha außer Form sind.
1. Der Vorwurf von Klinsmann stimmt komplett. Wo die SPORTBILD bei uns einen Spielgestalter sieht bzw. letzten Februar sah (aus dieser Zeit stammt die Analyse), wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben.
2. Die Qualität von Pekarik hat Klinsmann im Übrigen ganz richtig eingeschätzt (toller Teamspieler, aber kein Mehrwert für die Zukunft).
Vorwurf 4: „In 2020 muss das Stadion-Thema gelöst werden“
Klinsmann: „Ohne ein reines Fußballstadion mit den Fans direkt am Spielfeldrand einflußnehmend, wird Hertha BSC immer mit -10 Punkten die Saison anfangen.“
Die Fakten: Die Stadionfrage ist noch immer nicht gelöst. Das Ziel, 2025 in ein eigenes Stadion umzuziehen, ist quasi nicht mehr zu erreichen.
Fazit: Die Notwendigkeit eines eigenen Stadions sehen die Hertha-Bosse zu 100 Prozent wie Klinsmann, doch der Streit mit dem Senat blockiert eine Lösung.
Hier wird die nächste Legende gesponnen. Nicht der Streit mit dem Senat blockiert ein neues Stadion, sondern die Unfähigkeit der Verantwortlichen, eine Lösung gefunden zu haben, bei der wir nicht zu 100% vom Wohlwollen des Senats abhängig sind. Zudem wurden wichtige Fragen, die ein Stadionbau mit sich bringt, von Teuchert u. a. nicht beantwortet. Unglaublich, dass die SPORTBILD dieses amteurhafte Vorgehen mit keiner Silbe erwähnt.
Vorwurf 5: „Mit Tennor muss eine gemeinsame Markenstrategie erstellt werden.“
Klinsmann schrieb über die Investoren-Gruppe von Windhorst: „Tennor muss die Benchmarks vorgeben in Themen wie: Medienarbeit, Marketing, Merchandising, Sponsoring, Ticketing. Der Riss, der durch den Verein geht, wird vom Manager (…) ohne jegliche Not öffentlich formuliert – absolut projektschädigend.“
Die Fakten: Zuletzt veröffentlichten Hertha und Tennor getrennt voneinander Stellungnahmen zu den Zahlungsvereinbarungen. Der von Tennor entsandte Aufsichtsrat Jens Lehmann rief das Ziel Europa aus, die Hertha-Bosse formulierten kleinere Ansprüche. So sagt Preetz: „Glaubt jemand allen Ernstes, dass man in ein oder zwei Transfer-Perioden den Abstand aufholen kann zu den Klubs, die sich seit Jahren eingenistet haben in den internationalen Plätzen? Ich glaube da nicht dran.“ Sein Ziel: „Wir wollen den Anschluss herstellen an die internationalen Plätze:“
Nachdem Tennor keinen neuen Hauptsponsor liefern konnte, sucht Hertha mit seiner Vermarktungsagentur Sport Five allein weiter.
Fazit: Natürlich hat Klinsmann recht: Die gegensätzlichen und von Missstimmung geprägten öffentlichen Aussagen von Hertha und Tennor schaden allen Beteiligten. Allerdings: Hertha muss sich – nicht nur wegen der 50+1-Regel – unabhängig von äußeren Einflüssen machen. Dass ein Investor Druck macht, möglichst schnell erfolgreich zu sein, ist verständlich. Das Vertrauensverhältnis bröckelt nach nicht getätigten Tennor-Zahlungen allerdings weiter.
1. Tennor ist für die Akquise eines Hauptsponsors verantwortlich? Da hätte die SPORTBILD mal recherchieren sollen, dass das in den Aufgabenbereich von Schiller fällt, der SPORTFIFE unnötigerweise auch die nächsten Jahre Geld in den Rachen wirft, obwohl die keine nennenswerte Gegenleistung bringen. Deshalb muss Schiller auch ausgetauscht werden (Siehe Vorwurf 1).
2. Unfassbar, dass Preetz' Aussage über "Klubs, die sich seit Jahren eingenistet haben in den internationalen Plätzen" überhaupt nicht kritisch hinterfragt wird. In der EL - und davon reden wir ja wohl - haben in den letzten Jahren Vereine wie Frankfurt, Mainz, Hoffenheim, Schalke, Gladbach und Augsburg gespielt. Gladbach und Hoffenheim drohen in dieser Saison aus den internationalen Plätzen zu fallen und der Rest hat sich erst recht nicht dort eingenistet. Preetz erzählt mal wieder Märchen und die SPORTBILD glaubt die bereitwillig.
3. Dass kein Wort zu Gegenbauers Aussage, dass ein Vertreter der Holding, welcher die Profiabteilung zu 2/3 gehört, nur über und nicht für Hertha spricht, verloren wird, ist ebenfalls kaum zu glauben.
Mein Fazit: Klinsmann hatte in so gut wie jedem Punkt vollkommen recht und das, was er kritisiert hat, ist aktueller denn je.