Sehr schöner Faden mit interessanten Eindrücken. Ich bin ein bisschen zu spät, aber möchte auch noch ein bisschen Ost-Berliner Sicht ergänzen. Ansonsten wurde ja aus verschiedensten Kiezen und Erfahrungen schon ausführlich berichtet. Ich brauche ja jetzt nicht alles wiederholen, möchte nur kleine Ergänzungen einstreuen.
Also ich bin (Ost-)Berliner Neubaukind, hatte dabei auch gern diese leichte großstädtische Arroganz intus. Ist bis heute immer ein netter Spaß, wenn ich unter Brandenburger Kollegen von diesen und jenen Dörfern dort spreche und sie darauf bestehen, dass es Städte sind.
Dabei ist ja, wie hier schon geschrieben wurde, Berlin auch nur eine Ansammlung von Dörfern und Städtchen und ich verdanke meine Haltung auch nur dem Groß-Berlin-Beschluss von 1920. Trotzdem, echter geborener Berliner zu sein, am besten noch mit Berliner Ahnengalerie, war immer etwas Besonderes.
Das Gefühl hat (auch bei mir) nachgelassen. Die Stadt hat sich verändert. Was man auch daran sieht, dass Ray hier „feinste Craft Beer Kneipen mit Flair“ anpreist.
Es geht mir auf den Zeiger, wenn in den Bahnhöfen Touristen zu Fuß (ohne Fahrrad, Kinderwagen, Rollstuhl usw.) Fahrstühle blockieren und sich darin erstmal ´ne Weile fragen, wo Sie denn eigentlich hinmöchten, oder sie lahmarschig rumschlendern, sich an Rolltreppenenden stehenbleibend umgucken, und ich als unhöflich gelte, wenn ich mich auf dem Weg zur Arbeit vorbeidrängle.
In gewisser Weise wurden weite Teile der Stadt kolonialisiert. Natürlich war/ist es gut, dass verfallende Altbauten der alten Arbeiterbezirke, z.B. Prenzlauer Berg, Friedrichshain von Grund auf modernisiert wurden/werden. Doch die, die früher darin lebten, haben davon nichts.
In der Phase der Modernisierungen und Erneuerungen der vergangenen 20 Jahre in den zentrumsnäheren Bezirken Berlins, als Mieter sogar eingemauert wurden, um sie rauszuekeln, war ich froh, in der (Ost-)Berliner Platte aufgewachsen zu sein und immer noch dort zu leben. Der schlechte Ruf, den Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn, Hellersdorf usw. bis heute außerhalb haben, ist meine kleine Versicherung, dass mein Berlin, wo ich aufgewachsen bin, noch relativ lange so bleibt, wie ich es kenne. Zumindest zu einem gewissen Grad. Denn natürlich sinkt das Niveau hier, wenn vor allem ärmere Menschen hier herziehen müssen, weil sie sich das Leben im Zentrum Berlins nicht mehr leisten können.
Und nein, die (Ost-)Platte war NICHT grundsätzlich und schon früher ein Ort von Assis oder so, sondern ein durchaus förderliches Zusammenspiel von Proletariat und DDR-„Intelligenz“, (also z.B. Bauarbeiter und Lehrer). Beide haben voneinander profitiert. Dieser Ausgleich fehlt heutzutage natürlich teilweise.
Letztendlich habe ich aber das Gefühl, hier im Außenbezirk noch Berliner sein zu können. Hier höre ich meine Mundart, ist 17:15 Uhr gleich viertel 6 und der Tag nach Freitag heißt wenigstens noch manchmal Sonnabend.
Nebenbei, das für MikeSpring, fand ich die hiesige Hausnummernaufreihung (parallel aufsteigend, eine Straßenseite gerade, die andere Seite ungerade) immer sehr plausibel und nachvollziehbar. Und was die „durch Straßenbahnen durchschnittenen Viertel“ angeht: Das finde ich bis heute geradezu romantisch schön. Die Straßenbahn durchschneidet nicht, sie schmiegt sich ein, wie eine kleine Ostseebadbimmelbahn (so viel zum Großstadtgefühl
), denn die Schienen sind ja in der Regel überquerbar und kein unüberwindliches Hindernis. In meinen Augen war einer der bedeutendsten verkehrspolitischen Fehler in West-Berlin die Abschaffung der Straßenbahn.
Auch beim S-Bahnnetz muss ich widersprechen. Das Ost-Berliner S-Bahnnetz war (im Rahmen der technischen Ressourcen) keineswegs zusammengeschrumpft, sondern extrem wichtig, und verband auch zu Teilungszeiten die Ränder und Außenbezirke mit dem Zentrum. S-Bahnen fuhren schon lange vor 1989 nach Oranienburg, Bernau, Wartenberg, Ahrensfelde, Strausberg, Erkner, Schönefeld und Königs-Wusterhausen.
Ansonsten haben Opa und andere hier ja Recht. Das Berlin, das wir, jeder für sich auf seine Art kennen, kommt nicht wieder. Die Teilung und die besondere Situation beider Teile der Stadt in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, ermöglichte vielleicht etwas einmaliges, was nun nicht mehr ist, und Berlin wird zu einer Großstadt wie etliche andere auch. Mit den immer gleichen Filialen von McDonalds, Starbucks, Zara, Esprit usw. Doch gerade deshalb finde ich es wichtig, mein Berlinsein zu pflegen, und wenn es am Ende nur durch die Mundart ist.
Kleiner Exkurs zu den angesprochenen Clans: Ja, sind nicht alle kriminell, und bei den kriminellen sind es auch nicht alle Angehörigen. Aber die betreffenden sind eine Gefahr für das Gemeinwesen, um die sich zu lange nicht gekümmert wurde. Und wenn sie die Möglichkeit haben, breiten sie sich auch aus, egal wohin. Das betrifft im tieferen Osten vielleicht weniger Wohnbauten, dafür aber mehr Gewerbeflächen.
Nebenbei bemerkt finde ich wenig so armselig wie das nutzlose Leben krimineller Clanmitglieder, deren Lebensinhalt darin besteht, mit teuren Autos zu protzen. Dass sie dafür teilweise ihre Schwestern, Töchter, Cousinen, Tanten, Mütter zu Gebärmaschinen degradieren, macht sie nur noch bemitleidenswerter. Man kann beiden nur die Erkenntnis wünschen, dass das Leben viel reicher ist als dieser lächerliche Egoismus.
Zum Abschluss muss ich MikeSpring schon wieder korrigieren (wenn ich es nicht falsch verstanden habe): Die Reformation war nicht Folge der Aufklärung. Die Aufklärung kam grob ca. 200 Jahre nach der Reformation und war, wenn überhaupt, eine Folge der Auseinandersetzung zwischen Reformation und althergebrachtem Katholizismus. Was natürlich nichts daran ändert, wie du schreibst, dass heutzutage jeder Mensch die Möglichkeit hat, den Wert universeller Menschenrechte zu erkennen.
Ich bin vom Thema abgekommen, zum Schluss noch ein kleines belangloses Berlinquiz für das, was man von früher noch behalten hat: (Hat, wie der gesamte Beitrag, keinen Anspruch auf Qualität
)
1. Wie hieß der Ostverwandte bei den „Drei Damen vom Grill“ mit Vornamen?
2. Woher hat das Kino Toni seinen Namen?
3. Vervollständige: „Denk ich an Schmuck und Edelstein fällt mir immer nur … ein.“
4. Aus welchem Berliner Kaufhaus klauten Hexe, Riese und Rumpelstilzchen einen Staubsauger und aus welchem Park waren sie zuvor abgehauen?
5. Vervollständige: „Ganz egal, wo ich auch stecke, für meine Sicherheit sorgt …!“?
6. An welchem Berliner Bahnhof halten S- und U-Bahn am selben Bahnsteig?
7. Vervollständige: „… - bietet mehr!“ (Technikhändler)